Nur schüchtern oder leiden Sie bereits an sozialer Phobie?
Soziale Phobie gehört zu den Angststörungen. In der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen - ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sie unter den neurotischen Belastungs- und somatoformen Störungen eine eigene Sparte unter dem Titel soziale Phobien. Früher bezeichnete man sie - sofern man sie überhaupt wissenschaftlich klassifizierte - als soziale Neurose oder Antropophobie, im Volksmund als "krankhafte Schüchternheit". Um was handelt es sich genau?
Soziale Phobien sind Situationsängste mit nachfolgendem Vermeidungsverhalten. Die Angst wird zwar als nicht hinreichend begründet, dafür aber als so ausgeprägt erlebt, dass man sich aus eigener Kraft kaum von ihr lösen kann. Es handelt sich also um eine Zwangsbefürchtung.
Die soziale Phobie bezieht sich stets auf Handlungen, die sich unter den Augen von Drittpersonen abspielen, die das Verhalten nicht nur beobachten, sondern möglicherweise auch kritisieren könnten. Sie äußert sich nicht nur in Ängsten vor Examina, öffentlichem Auftreten u. a., was nachvollziehbar wäre. Schwerpunkt sind vielmehr Alltäglichkeiten, nämlich die Angst vor gesellschaftlichen Anlässen: Partys, Einladungen, Restaurants, Freunde, vor allem aber fremde Menschen treffen müssen, insbesondere des anderen Geschlechts. Also die Angst in Gegenwart anderer das Wort ergreifen, essen, trinken, schreiben, telefonieren, die Angst, ein Geschäft, ein Büro betreten zu müssen usw.
Menschen mit einer Sozialen Phobie gelten als ängstlicher, introvertierter (in sich gekehrter) und vegetativ labiler, als andere mit weniger Problemen in dieser Hinsicht. Die Grenze zur Schüchternheit ist fliessend, auf jeden Fall schwierig zu ziehen.
Der Verlauf ist ohne Behandlung oftmals chronisch. Die Störung beginnt in der Regel bereits im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter.
Bei manchen Menschen nimmt das Ausmaß der Beeinträchtigungen im Erwachsenenalter ab, wenn es ihnen entweder gelingt, beruflich und privat belastenden Situationen dauerhaft aus dem Weg zu gehen oder durch persönliche Erfolgserlebnisse aufgrund herausragender Leistung und Anerkennung durch andere diese Ängste zu neutralisieren.
Die soziale Phobie scheint neben der Agoraphobie die häufigste Angststörung zu sein oder zu werden. Bisher wird sie noch sehr unterschiedlich eingeschätzt. Die Untersuchungsergebnisse streuen von 1,7 bis 16 % in der Allgemeinbevölkerung. Ein Mittelwert scheint realistisch.
Nicht wenige Sozialphobiker sind in ihrer Persönlichkeitsstruktur verletzlicher als der Durchschnittsmensch. Die Auslösung der Krankheit erfolgt dann durch entsprechende Umweltbelastungen, meist Kränkungen, Frustrationen oder Demütigungen. Nicht auszuschließen ist aber auch eine genetische Prädisposition für Angststörungen im allgemeinen und die Sozialphobie im speziellen. Auf jeden Fall wird eine familiäre Disposition oder auch eine erbliche Belastung diskutiert. Dies äußert sich vor allem in einer sogenannten positiven Familien-Anamnese, d. h. es findet sich oft ein Mensch mit gleichen Problemen in der Vorgeschichte von Eltern, Großeltern, Onkels, Tanten, Nichten, Neffen, väterlicher- oder mütterlicherseits.
Zwar haben immer mehr Menschen Probleme im Umgang mit den anderen. Viele würden die täglich anfallenden sozialen Kontakte am liebsten vermeiden und wären froh, wenn sie möglichst wenig mit anderen zu tun hätten. Das betrifft nicht nur die Schüchternen, sondern ist ein offensichtlich wachsender Trend, der durch permanente Überforderung und Dauerstress entsteht. Krankhaft aber wird es unter den folgenden Bedingungen:
Menschen mit sozialen Ängsten meiden es, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Sie erleben sich im Umgang mit anderen Menschen als gehemmt oder befangen oder haben den Eindruck, durch
Leistungsdruck stärker beeinträchtigt zu sein als andere.In den gefürchteten Situationen oder auch schon beim Gedanken daran treten Ängste auf, die sich bis zur Panik steigern können.
Mit dieser Angststörung, der "sozialen Phobie", beschäftigt sich auch ein neuer Forschungsverbund über Soziale Phobie (SOPHO-NET), an dem verschiedene Universitäten beteiligt sind.
Ziel ist es, die Krankheit besser zu verstehen und die Behandlung der Betroffenen zu verbessern.