Lieber Pillen nehmen als vernüftig essen?

Der Gedanke ist verführerisch: Keine Plage mehr mit Einkaufen und Kochen, keine belasteten Nahrungsmittel mehr auf dem Tisch, sondern zeitsparend Tabletten und Fertiglösungen mit genau definiertem Nährstoff-und Vitamingehalt 3 mal täglich einnehmen!

Vitamin- und Mineralstoffpräparate liegen im Trend: die Nachfrage nach Präparaten zur Nahrungsergänzung ist im vergangenen Jahr um 12 Prozent angestiegen und hat den Herstellern mehrere Millionen Euro an Umsatz
zusätzlich eingebracht. Nahrungsergänzungsmittel enthalten Vitamine und/oder Mineralstoffe in konzentrierter Form und sind zum Beispiel als Brausetabletten oder in Kapselform erhältlich.

Besonders gefragt sind Nahrungsergänzungsmittel, die laut ihrer Werbung für den Verbraucher einen erkennbaren Nutzen haben wie zum Beispiel Mittel gegen Wechseljahrsbeschwerden, Zuckerkrankheit, Multivitaminpräparate mit Mineralstoffen oder Antiallergika. Viele Menschen befürchten, dass sie mit konventionellen Lebensmitteln zu wenig Vitamine und Mineralstoffeaufnehmen und greifen daher täglich zu Mineralstoff- oder Vitaminpräparaten. Diese Sorgen sind allerdings unnötig, denn wer abwechslungsreiche Mahlzeiten mit reichlich Obst und Gemüse isst, der nimmt mit der Nahrung alle notwendigen Vitamine und Mineralstoffe auf.
In der Praxis ist aber eine Beweisführung zum Nutzen von Vitamin- undMineralstoffsupplementen nur schwer zu verwirklichen, denn bei randomisierten placebokontrollierten Studien mit klinischen Endpunkten
muss die individuelle Vitamin- und Mineralstoffaufnahme durch die Nahrung berücksichtigt werden. Dennoch können Nahrungsergänzungsmittel eine sinnvolle Ergänzung zu einer gesunden, vollwertigen Ernährungsweise
sein. In Deutschland ist die Vitaminversorgung insgesamt zufriedenstellend, mit Ausnahme von Vitamin D und E, Folat und Pantothensäure. Risikomineralstoffe, bei denen eine höhere Zufuhr wünschenswert ist, sind Calcium, Fluorid, Eisen und Jod .

Bestimmte Lebensumstände wie Rauchen, Krankheit oder Medikamenteneinnahme können zu einem erhöhten Vitaminbedarf führen. Vor allem ältere Menschen, chronisch Kranke wie Diabetiker, Schwangere oder Sportler können von einer Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln profitieren. Ein hoher Konsum von Vitaminen und Mineralstoffen zum Gesundwerden oder zur Krankheitsvorbeugung nach dem Motto Viel hilft viel! kann jedoch nach hinten losgehen. Eine mögliche vorbeugende Wirkung von hochdosierten, antioxidativ wirkenden Vitaminen, beispielsweise gegen Krebs oder Hauterkrankungen, wird zwar in der Fachwelt diskutiert, gilt aber als noch nicht bewiesen. Bisher konnten Wissenschaftler keine präventive Wirkung von hohen Dosierungen von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten nachweisen, im Gegenteil: In hoher Dosierung können diese Präparate eher schaden als nutzen. Insbesondere die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K lagert der Körper bei einer Überdosierung ein und diese können so zu gesundheitlichen Schäden führen. Eine normale, beziehungsweise vom Hersteller empfohlene Dosierung ist dagegen unbedenklich, denn die Höchstgrenzen an Vitamin- und Mineralstoffgehalten werden vom Gesetzgeber festgelegt. Eine Überdosierung ist dadurch ausgeschlossen.

Interessanterweise -so zeigt eine Studie des Robert Koch Instituts - nehmen aber gerade die Menschen, die sich vitamin- und mineralstoffreich ernähren und eine Supplementierung nicht unbedingt brauchen, mehr Nahrungsergänzungsmittel zu sich als solche, bei denen eine Supplementierung sinnvoll wäre. Warum das so ist, kann man nur vermuten. Wahrscheinlich leben die Personen, die Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, schon von vorneherein gesundheitsbewusster. Dennoch ist die Einnahme von Vitamin- und Mineralstoffsupplementen keine Alibifunktion für geringen Verzehr von Obst und Gemüse. Vitaminpille und Co. sind keine Wundermittel bei Erkrankungen und sie ersetzen keinesfalls eine Ernährungs- und Diätberatung oder gar einen Arztbesuch.

Kalziumtabletten für starke Knochen, Zink-Kapseln bei Erkältung, Magnesium-Dragees gegen Nervenbelastungen - die Lieferanten für Schönheit und Wohlbefinden füllen die Regale in Apotheken, Drogerien und Supermärkten. Jeder Dritte, so eine Forsa-Umfrage, greift gelegentlich zum Gesundheitsplus in Pillenform. Besonders beliebt: Kombipräparate, die mehrere Mikronährstoffe vereinen. Aber nicht selten sind die Zusammenstellungen unsinnig, manchmal sogar schädlich, berichtet die Frauenzeitschrift FÜR SIE in ihrer aktuellen Ausgabe vom 7. Februar 2006. Einige Beispiele: Kalzium verträgt sich gut mit den Vitaminen C, K und D. So benötigt Kalzium Vitamin D, um überhaupt vom Darm in die Blutbahn aufgenommen zu werden und für den Aufbau der Knochen. Problematisch ist dagegen die Kombination mit Magnesium. Denn zu viel Magnesium wirkt auf die Körperzellen wie ein Abwehrschild gegen Kalzium. Die richtige Balance liegt bei 2:1, also beispielsweise 400 Milligramm Kalzium und - möglichst zeitversetzt - 200 Milligramm Magnesium. Kein gutes Paar geben darüber hinaus das abwehrstärkende Selen und Vitamin C: Die beiden Mikronährstoffe behindern sich dann gegenseitig bei der Arbeit. Ähnlich sieht es bei den Spurenelementen Kupfer, Eisen und Zink aus: Zu viel Kupfer blockiert die Wirkung des Allroundtalents Zink, das unter anderem die Insulin-Balance sichert, die Wundheilung stimuliert und das Immunsystem fit hält. Eine ständige Überdosierung von Zink wiederum kann zu Eisen- und Kupfermangel führen. Deshalb: Nicht mehr als 25 Milligramm Zink am Tag.